Transkription des Snowden-Interviews vom NDR

Das Snowden-Interview von Hubert Seipel

Hubert Seipel: Herr Snowden, haben Sie in den letzten Nächten gut geschlafen? Ich habe gelesen, dass Sie um Polizeischutz gebeten haben. Gibt es irgendwelche Drohungen?

Edward Snowden: Es gibt deutliche Drohungen. Aber ich schlafe sehr gut. Es gab einen Artikel in einem Onlineportal namens Buzzfeed, in dem Beamte des Pentagon und der NSA (National Security Agency) interviewt wurden. Man hat ihnen Anonymität zugesichert, damit sie sagen können was sie wollen und die haben dem Reporter erzählt, dass sie mich umbringen wollen.
Diese Leute, und das sind Regierungsbeamte, haben gesagt, sie würden mir nur zu gerne eine Kugel in den Kopf jagen. Oder mich vergiften wenn ich aus dem Supermarkt zurückkomme und zusehen, wie ich dann unter der Dusch sterbe.

Hubert Seipel: Aber zum Glück sind Sie noch am Leben.

Edward Snowden: Richtig, ich bin noch am Leben. Und ich habe keine schlaflosen Nächte weil ich getan habe, was ich für nötig hielt. Es war das Richtige und ich werde keine Angst haben.

Hubert Seipel: „Die größte Angst die ich habe, was meine Enthüllungen angeht“, sagten Sie damals, „ist die, dass sich nichts ändert“. Aber unterdessen gibt es eine lebhafte Diskussion über die Lage der NSA. Nicht nur in Amerika, sondern auch in Deutschland und in Brasilien. Und Präsident Obama war gezwungen öffentlich zu rechtfertigen, was die NSA da ganz legal gemacht hat.

Edward Snowden: Als erste Reaktion auf die Enthüllungen hat sich die Regierung als eine Art Wagenburg um die National Security Agency aufgebaut. Anstatt sich hinter die Öffentlichkeit zu stellen und deren Rechte zu schützen, haben sich die Politiker vor den Sicherheitsapparat gestellt und dessen Rechte geschützt. Das war interessanterweise allerdings nur die erste Reaktion.
Seither sind Zugeständnisse gemacht worden.
Der Präsident hat erst gesagt: „wir haben das richtige Maß eingehalten. Es gab keinen Missbrauch.“. Dann haben er und seine Beamten zugegeben, dass es durchaus Missbrauch gegeben hat. Es hat jedes Jahr unzählige Verstöße der National Security Agency und anderer Stellen und Behörden gegeben.

Hubert Seipel: Ist die Rede von Obama der Beginn einer ernsthaften Regulierung?

Edward Snowden:Aus der Rede des Präsidenten ging klar hervor, dass er kleinere Änderungen vornehmen will, um Behörden zu bewahren, die wir nicht brauchen. Der Präsident hat einen Untersuchungsausschuss aus Beamten gebildet, die zu seinen persönlichen Freunden gehören. Aus Angehören der National Security und ehemaligen Angehörigen der CIA. Aus Leuten, die jeden Grund haben mit diesen Programmen schonend umzugehen. Aber selbst sie haben festgestellt, dass diese Programme wertlos sind. Dass sie noch nie einen Terrorangriff in den USA verhindert haben. Und dass sie bestenfalls ein Bisschen nutzen für andere Dinge haben.
Das Section 215 Programm: das ist ein riesiges Datensammelprogramm — und das heißt: Massenüberwachungsprogramm — hat lediglich herausgefunden, dass eine telegraphische Überweisung in Höhe von $ 85.000,- vom einem Taxifahrer in Kalifornien entdeckt und gestoppt wurde. Fachleute sagen, dass wir diese Art der Überprüfung nicht brauchen, dass uns diese Programme nicht sicher machen. Ihr Unterhalt ist enorm aufwändig und sie sind wertlos. Experten sagen, man könne sie verändern. Die National Security Agency untersteht allein dem Präsidenten. Er kann ihr Vorgehen jederzeit beenden oder eine Veränderung einleiten.

Hubert Seipel: Präsident Obama hat zugegeben, dass die NSA Milliarden von Daten sammelt und speichert.

Edward Snowden: Jedes mal, wenn Sie telefonieren, eine E-Mail schreiben, etwas überweisen, mit einem Mobiltelefon Bus fahren oder irgendwo eine Karte durch ein Lesegerät ziehen, hinterlassen Sie eine Spur. Und die Regierung hat beschlossen, dass es eine gute Idee ist das alles mit diesen Programmen zu sammeln. Alles. Selbst, wenn Sie noch nie eines Verbrechens verdächtigt wurden. Üblicherweise geht der Staat zum Richter, erklärt ihm, dass jemand verdächtigt wird ein bestimmtes Verbrechen begangen zu haben; es gibt einen Haftbefehl und dann erst nutzen sie die Amtsgewalt für die Ermittlungen. Heutzutage setzt die Regierung ihre Amtsgewalt schon ein, bevor überhaupt eine Ermittlung beginnt.

Hubert Seipel: Sie haben diese Debatte ausgelöst. Der Name Edward Snowden steht inzwischen für den Whistleblower im Zeitalter des Internet. Bis zum letzten Sommer haben Sie für die NSA gearbeitet und in dieser Zeit haben Sie heimlich tausende vertrauliche Dokumente gesammelt. Was war der entscheidende Moment — oder war es ein längerer Zeitraum — warum haben Sie es getan?

Edward Snowden: Ich würde sagen, ein entscheidender Punkt war, als ich gesehen haben, wie der Leiter des nationalen Geheimdienstes James Clepper, unter Eid vor dem Kongress gelogen hat. Es gibt keine Rettung für einen Geheimdienst der glaubt, Öffentlichkeit und Gesetzgeber belügen zu können; die ihm vertrauen und seine Handlungen regulieren. Als ich das gesehen habe, bedeutete es für mich, dass ich nicht mehr zurück kann. Es bestand kein Zweifel. Darüber hinaus war es die schleichende Erkenntnis, dass es niemand anders tun würde. Die Öffentlichkeit hatte ein Recht von diesen Programmen zu erfahren. Die Öffentlichkeit hatte ein Recht zu wissen, was die Regierung in ihrem Namen tut und was die Regierung gegen die Öffentlichkeit tut. Aber weder das Eine noch das Andere durften wir diskutieren. Es war uns verboten selbst mit unseren gewählten Repräsentanten darüber zu sprechen oder diese Programme zu diskutieren. Und das ist gefährlich. Die einzige Prüfung die wir hatten, kam von einem geheimen Gericht, dem FISA Court, der eine Art Erfüllungsgehilfe ist. Wenn man dazu gehört, wenn man jeden Tag dort zur Arbeit geht und sich an seinen Schreibtisch setzt, wird man seiner Macht bewusst. Dass man sogar den Präsidenten der Vereinigten Staaten oder einen Bundesrichter abhören könnte und — wenn man vorsichtig vorgeht — es niemand erfahren wird. Weil der einzige Weg, wie die NSA Missbrauch aufklärt, Selbstanzeigen sind.

Hubert Seipel: Was das angeht, sprechen wir nicht nur von der NSA. Es gibt ein multilaterales Abkommen zur Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten. Dieses Bündnis ist bekannt als Five Eyes. Welche Geheimdienste und Länder gehörten zu diesem Bündnis und was ist das Ziel?

Edward Snowden: Das Five-Eyes-Bündnis ist eine Art Artefakt aus der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, in der die englischsprachigen Länder die Großmächte waren, die sich zusammentaten um zu kooperieren und die Kosten für die Infrastruktur der Geheimdienste zu teilen. Wir haben also die GCHQ in England, wir haben die NSA in den USA, wir haben Kanada-CSEC, wir haben das australische Signals Intelligence Directorate und wir haben das neuseeländische DSD (Defense Signals Directorate). Das Ergebnis ist seit Jahrzehnten eine Art supranationale Geheimdienstorganisation, die sich nicht an die Gesetze ihrer eigenen Länder hält.

Hubert Seipel: In vielen Ländern, wie auch in Amerika, ist es Organisationen wie der NSA gesetzlich nicht gestattet die Bürger im eigenen Land auszuspionieren. So dürfen die Briten offiziell jeden ausspionieren, nur nicht die Briten. Aber die NSA könnte die Briten ausspionieren und umgekehrt, sodass sie ihre Daten austauschen können und so folgen sie offiziell dem Gesetz.

Edward Snowden: Wenn Sie die Regierungen direkt danach fragen, werden sie es abstreiten und auf Abkommen zwischen den Mitgliedern der Five Eyes verweisen, in denen steht, dass sie die Bürger des anderen Landes nicht ausspionieren.
Doch da gibt es einige Knackpunkte:
einer ist, dass das Sammeln von Daten nicht als Spionage gilt. Der GCHQ sammelt eine unglaubliche Menge Daten britischer Bürger, genau wie die National Security Agency eine enorme Menge Daten über US-Bürger sammelt. Sie behaupten, dass sie innerhalb dieser Daten keine Person gezielt überwachen. Sie suchen nicht nach US- oder britischen Bürgern.
Hinzu kommt, dass das Abkommen in dem steht, dass die Briten keine US-Bürger und die USA keine britischen Bürger überwachen, nicht gesetzlich bindend ist. Die eigentliche Vertragsurkunde weist gesondert darauf hin, dass das Abkommen nicht rechtlich verpflichtend ist. Das Abkommen kann jederzeit umgangen oder gebrochen werden. Wenn die NSA also einen britischen Bürger ausspionieren will, kann sie ihn ausspionieren und die Daten sogar der britischen Regierung überlassen, die ihre Bürger selbst nicht ausspionieren darf.
Es existiert also eine Art Handelsdynamik. Aber dies ist nicht offen; es ist mehr ein Anstupsen und Zuzwinkern. Darüber hinaus geschieht die Überwachung und der Missbrauch nicht erst, wenn Leute sich die Daten ansehen: er geschieh,t in dem Leute die Daten überhaupt sammeln.

Hubert Seipel: Wie eng ist die Zusammenarbeit des deutschen Geheimdienstes BND mit der NSA und den Five Eyes.

Edward Snowden: Ich würde sie als eng bezeichnen. In unserem schriftlichen Interview habe ich es zuerst so ausgedrückt, dass der deutsche und der amerikanische Geheimdienst miteinander ins Bett gehen. Ich sage das, weil sie nicht nur Informationen tauschen, sondern sogar Instrumente und Infrastruktur teilen. Sie arbeiten gegen gemeinsame Zielpersonen. Und darin liegt eine große Gefahr. Eines der großen Programme, das sich in der National Security Agency zum Missbrauch anbietet, ist das X-Keyscore. Es ist eine Technik mit der man alle Daten durchsuchen kann, die weltweit täglich von der NSA gespeichert werden.

Hubert Seipel: Was würden Sie an deren Stelle mit diesem Instrument tun?

Edward Snowden: Man könnte jede E-Mail auf der ganzen Welt lesen. Von jedem, von dem man die E-Mail-Adresse besitzt. Man kann den Verkehr auf jeder Webseite beobachten, auf jedem Computer. Jeder Laptop, den man ausfindig macht, kann man von Ort zu Ort über die ganze Welt verfolgen. Es ist eine einzige Anlaufstelle über die man an alle Informationen der NSA gelangt. Darüber hinaus kann man X-Keyscore benutzen um einzelne Personen zu verfolgen.
Sagen wir: ich habe Sie einmal gesehen und fand interessant, was Sie machen oder Sie haben Zugang zu etwas, das mich interessiert. Sagen wir: Sie arbeiten in einem großen deutschen Unternehmen und ich möchte Zugang zu diesem Netzwerk erlangen. Ich kann Ihren Benutzernamen auf einer Webseite, auf einem Formular, irgendwo, herausfinden. Ich kann Ihren echten Namen herausfinden. Ich kann Beziehungen zu Ihren Freunden verfolgen und ich kann etwas bilden, dass man als Fingerabdruck bezeichnet. Das heißt eine Netzwerkaktivität, die einzigartig für Sie ist. Das heißt, egal wohin Sie auf der Welt gehen, egal wo Sie versuchen Ihre Onlinepräsenz, Ihre Identität zu verbergen, kann die NSA Sie finden. Und jeder, der berechtigt ist dieses Instrument zu benutzen oder mit dem die NSA ihre Software teilt, kann das Selbe tun. Deutschland ist eines der Länder das Zugang zu X-Keyscore hat.

Hubert Seipel: Das klingt ziemlich beängstigend. Die Frage ist, liefert der BND Daten deutscher Bürger an die NSA?

Edward Snowden: Ob der BND es direkt oder bewusst tut; jedenfalls erhält die NSA deutsche Daten. Ob sie geliefert werden, darüber darf ich erst sprechen, wenn in den Medien darüber berichtet wurde, weil es als geheim eingestuft wurde und es mir lieber ist, wenn Journalisten darüber entscheiden, was im öffentlichen Interesse liegt und was veröffentlicht werden sollte.
Es ist allerdings kein Geheimnis, dass jedes Land der Welt die Daten seiner Bürger bei der NSA hat.
Millionen und Millionen und Millionen von Datenverbindungen aus dem täglichen Leben der Deutschen. Ob sie mit dem Handy telefonieren, SMS-Nachrichten senden, Webseiten besuchen, Dinge online einkaufen — all das landet bei der NSA. Und da liegt die Vermutung nahe, dass der BND sich dessen in gewisser Weise bewusst ist. Ob er wirklich aktiv Informationen zur Verfügung stellt darf ich nicht sagen.

Hubert Seipel: Der BND argumentiert, dass so etwas nur zufällig geschehe, und das unser Filter nicht funktioniere.

Edward Snowden: Richtig, sie diskutieren über zwei Dinge. Sie sprechen davon, dass sie Daten sammeln und filtern. Das heißt, wenn die NSA einen geheimen Server in einem deutschen Telekommunikationsprovider installiert oder einen deutschen Router hackt und den Datenverkehr in der Weise umleitet, dass sie ihn durchsuchen kann, wird gesagt: „wenn ich merke, dass ein Deutscher mit einem anderen Deutschen spricht, höre ich auf.“. Aber woher will man das wissen? Man könnte sagen: „nun, diese Leute sprechen die deutsche Sprache“, “ diese IP-Adresse scheint von einer deutschen Firma zu einer anderen deutschen Firma zu führen.“ — aber das ist nicht korrekt. Und die würden nicht den ganzen Datenverkehr fallen lassen, weil sie so an Leute herankommen, die sie interessieren. Die aktiv in Deutschland deutsche Kommunikationswege benutzen. Wenn sie sagen, sie spionieren keine Deutschen absichtlich aus, dann meinen sie also nicht, dass sie keine deutschen Daten sammeln, sie meinen nicht, dass keine Aufzeichnungen gemacht oder gestohlen werden. Dieses Versprechen, bei dem man die Finger hinter seinem Rücken kreuzt, darauf kann man sich nicht verlassen.

Hubert Seipel: Was ist mit anderen europäischen Ländern, wie Norwegen oder Schweden? Wir haben eine Menge Unterwasserkabel, die durch die Ostsee führen.

Edward Snowden: Das ist eine Art Ausweitung der selben Idee. Wenn die NSA keine Informationen über deutsche Bürger in Deutschland sammelt — tut sie es dann, sobald sie die deutschen Grenzen verlässt?
Die Antwort lautet ja!
Die NSA kann jede Kommunikation, die über das Internet läuft an diversen Punkten abfangen. Vielleicht sehen sie das in Deutschland, vielleicht in Schweden, vielleicht in Norwegen oder Finnland, vielleicht in England und vielleicht in den Vereinigten Staaten.
An jedem einzelnen Ort, den eine deutsche Kommunikation durchläuft, wird sie abgefangen und gespeichert.

Hubert Seipel:Kommen wir zu unseren südeuropäischen Nachbarn: Italien, Frankreich und Spanien.

Edward Snowden: Es ist weltweit der gleiche Deal!

Hubert Seipel:Spioniert die NSA bei Siemens, Mercedes oder anderen erfolgreichen Unternehmen, um deren Vorsprung in Technik und Wirtschaft zum eigenen Vorteil zu benutzen?

Edward Snowden: Ich will wieder nicht den Journalisten vorgreifen. Aber was ich sagen kann ist: es gibt keinen Zweifel, dass die USA Wirtschaftsspionage betreiben.
Wenn es bei Siemens Informationen gibt, von denen sie meinen, dass sie für die nationalen Interessen von Vorteil sind — nicht für die nationale Sicherheit der USA — werden sie der Information hinterherjagen und sie bekommen.

Hubert Seipel:Es gibt ein altes Sprichwort das heißt: wenn irgendetwas möglich ist, wird es auch getan. Tut die NSA was technisch möglich ist?

Edward Snowden: Das Thema hat der Präsident letztes Jahr angesprochen. Da sagte er: „nur weil wir etwas tun können“ — und da ging es darum, dass das Telefon von Angela Merkel angezapft worden war — „nur weil wir etwas tun können, heißt das nicht, dass wir es auch tun sollten“. Und das ist genau, was passiert ist. Die technischen Möglichkeiten, die in niedrigen Sicherheitsstandards von Internetprotokollen und mobilen Kommunikationsnetzwerken liegen, wurden von Geheimdiensten dazu benutzt Systeme zu schaffen, die alles sehen.

Hubert Seipel:Nichts hat die deutsche Regierung mehr verärgert als die Tatsache, dass die NSA offenbar über die letzten zehn Jahre das private Telefon der deutschen Kanzlerin angezapft hat. Plötzlich verband sich die unsichtbare Überwachung mit einem bekannten Gesicht und nicht mit diesem undurchsichtigen, zwielichtigen, terroristischen Hintergrund. Nun hat Obama versprochen nicht mehr bei Frau Merkel herumzuschnüffeln, was die Frage aufwirft: hat die NSA bereits vorherige Regierungen abgehört; einschließlich früherer Kanzler? Und wenn: wann und wie lange hat sie es getan?

Edward Snowden: Das ist eine besonders schwierige Frage für mich. Weil es Informationen gibt, die meiner Ansicht nach unbedingt im Interesse der Öffentlichkeit stehen. Wie ich jedoch schon sagte ist es mir lieber, dass Journalisten das Material sichten und entscheiden, ob der Wert dieser Informationen für die Öffentlichkeit wichtiger ist, als der Schaden den die Veröffentlichung für den Ruf der Regierungsmitglieder bedeutet, die diese Überwachung angeordnet haben.
Was ich sagen kann ist, dass wir wissen, dass Angela Merkel von der National Security Agency überwacht wurde.
Die Frage ist: wie logisch ist es anzunehmen, dass sie das einzige Regierungsmitglied ist, das überwacht wurde? Wie wahrscheinlich ist es, dass sie das einzige bekannte deutsche Gesicht ist, um das sich die National Security Agency gekümmert hat? Ich würde sagen, es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass jemand, der sich um Absichten der deutschen Regierung sorgt, nur Merkel überwacht und nicht ihre Berater — keine anderen bekannten Regierungsmitglieder, keine Minister oder sogar angehörige kommunaler Regierungen.

Hubert Seipel: Wie bekommt ein junger Mann aus Elisabeth City aus North-Carolina im Alter von 30 Jahre eine solche Position in einem so sensiblen Bereich?

Edward Snowden: Das ist eine sehr schwierige Frage. Grundsätzlich würde ich sagen, dass dadurch die Gefahren der Privatisierung hoheitlicher Aufgaben erkennbar werden. Ich arbeitete früher als Regierungsmitarbeiter für die Central Intelligence Agency, habe aber viel häufiger als Kontraktor in einem privaten Rahmen gearbeitet.
Das bedeutet, dass privatwirtschaftliche gewinnorientierte Unternehmen hoheitliche Aufgaben übernehmen, wie beispielsweise Spionage, Aufklärung, Unterwanderung ausländischer Systeme. Und jeder, der das privatwirtschaftliche Unternehmen davon überzeugen kann, dass er über die erforderlichen Qualifikationen verfügt, eingestellt wird. Die Aufsicht ist minimal und es wird kaum geprüft.

Hubert Seipel: Waren Sie eines dieser klassischen Computerkids, die mit geröteten Augen die ganze Nacht vor dem Computer gesessen haben, zwölf oder 15 Jahre alt, und ihr Vater hat an die Tür geklopft „mach endlich das Licht aus!“ — haben Sie Ihre Kenntnisse auf diese Art und Weise erworben?

Edward Snowden: Ich hatte definitiv, sagen wir mal, eine zutiefst informelle Erziehung was meine Computer- und Elektronikausbildung angeht. Das war für mich schon immer faszinierend. Nun, die Beschreibung, dass die Eltern mich ins Bett schickten, trifft es schon.

Hubert Seipel: Wenn man sich die wenigen öffentlichen Daten Ihres Lebens anschaut, entdeckt man, dass Sie sich offensichtlich im Mai 2004 den Spezialkräften anschließen wollten, um im Irak zu kämpfen. Was hat sie damals angetrieben? Spezialkräfte, das heißt heftiges kämpfen und wohl auch töten. Sind Sie jemals im Irak gewesen?

Eward Snowden: Nein. Was interessant ist, was die Spezialkräfte angeht, ist doch die Tatsache, dass sie eigentlich nicht für den unmittelbaren Kontakt, für direkte Kämpfe, zuständig sind. Vielmehr sollen sie kräfteverstärkend wirken. Sie werden hinter den feindlichen Linien eingesetzt. Es handelt sich dabei um eine Spezialeinheit. Sie soll der örtlichen Bevölkerung helfen Widerstand zu leisten und die amerikanischen Streitkräfte unterstützen. Das hielt ich damals für eine grundsätzlich anständige Angelegenheit. Im Nachhinein waren die Argumente für den Einsatz im Irak nicht ausreichend begründet. Mit dem Ergebnis, dass alle Beteiligten geschädigt aus der Sache hervorgingen.

Hubert Seipel: Wie ging es danach mit Ihrem Abenteuer weiter, blieben Sie dort lange?

Eward Snowden: Nein, ich habe mir bei der Ausbildung die Beine gebrochen und wurde entlassen.

Hubert Seipel: Mit anderen Worte: es war also ein kurzes Abenteuer.

Eward Snowden: Ja, ein kurzes.

Hubert Seipel: 2007 waren Sie für die CIA in Genf stationiert. Warum sind Sie zur CIA gegangen?

Eward Snowden: Ich glaube nicht, dass ich das sagen darf.

Hubert Seipel: Dann vergessen wir die Frage. Aber warum die CIA?

Eward Snowden: Ich glaube, dass ich dadurch auch weiterhin möglichst wirksam dem öffentlichen Wohl dienen wollte. Es entspricht auch meinen anderen Tätigkeiten für den Staat, bei denen ich meine technischen Fähigkeiten an den schwierigsten Stellen die ich finden konnte, verwenden wollte. Und genau das, bot mir die CIA.

Hubert Seipel: Wenn man sich das so anschaut, was sie gemacht haben: Special Forces, CIA, NSA — das ist nicht unbedingt der Weg für einen Menschenrechtler oder Whistleblower. Was ist passiert?

Eward Snowden: Ich glaube es zeigt, egal wie sehr man sich für den Staat einsetzt und ihm treu ergeben ist. Egal wie stark man an die Argumente der Regierung glaubt, so wie das bei mir während des Irak-Kriegs der Fall war, man kann lernen und einen Unterschied zwischen einer für einen Staat angemessenen Handlung und einem tatsächlichen Fehlverhalten erkennen. Und ich glaube, mir wurde klar, dass eine rote Linie überschritten wurde.

Hubert Seipel: Sie arbeiteten bei einem privaten Unternehmen mit dem Namen Booz Allen Hamilton für die NSA. Die Firma gehört zu den Großen im Geschäft. Worin besteht für den Staat der Vorteil private Unternehmen mit der Durchführung einer zentralen, hoheitlichen Aufgabe zu beauftragen?

Eward Snowden: Die Vergabepraxis der Sicherheitsbehörden der USA ist eine komplizierte Angelegenheit. Sie wird von verschiedenen Interessen bestimmt. Zum einen soll die Anzahl der unmittelbaren Mitarbeiter des Staates begrenzt werden, zum Anderen verlangen auch die Lobbyisten von finanzreichen Unternehmen wie Booz Allen Hamilton ihren Tribut. Dadurch entsteht eine Situation in der private Unternehmen die Politik der Regierung beeinflussen. Und deren Interessen unterscheiden sich sehr stark von den Interessen der Allgemeinheit. Die Folgen konnte man bei Booz Allen Hamilton beobachten, wo Privatpersonen auf Millionen von amtlichen Akten zugreifen können. Sie können jederzeit das Unternehmen verlassen. Keine Zuverlässigkeit, keine Kontrollen. Die Regierung wusste nicht einmal, dass die weg waren.

Hubert Seipel: Am Ende sind Sie hier in Russland gelandet und die Geheimdienstgemeinde verdächtigt Sie, dass Sie hier einen Deal gemacht haben: Asyl gegen geheime Informationen.

Edward Snowden: Der Chef der Arbeitsgruppe, die meinen Fall untersucht, sagte erst im Dezember, dass es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass ich von außerhalb Hilfe bekommen hätte oder gar von Außen angeleitet wurde. Ich habe auch keinen Deal gemacht um meine Mission durchzuführen. Ich habe alleine gearbeitet. Ich habe alleine gearbeitet. Ich brauchte von niemandem Hilfe. Ich habe zu keinen ausländischen Regierungen irgendwelche Verbindungen und ich bin kein Spion für Russland, China oder irgendein anderes Land. Wenn es stimmt, dass ich ein Verräter bin, wen soll ich denn verraten haben? Ich habe alles was ich weiß, der amerikanischen Öffentlichkeit, den amerikanischen Journalisten geschenkt. Wenn das als Verrat gelten soll, sollten sich die Menschen wirklich fragen, für wen sie arbeiten! Die Öffentlichkeit ist ja schließlich ihr Chef und nicht ihr Feind. Was meine persönliche Sicherheit anbelangt, werde ich nie ganz sicher sein, bis sich diese Systeme ändern.

Hubert Seipel: Nach Ihren Enthüllungen war kein europäisches Land bereit, Sie aufzunehmen. Wo hatten Sie Asyl beantragt?

Edward Snowden: Die genaue Liste habe ich nicht mehr im Kopf, da es zu viele waren. Aber auf jeden Fall Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Verschiedene europäische Länder, die es leider für wichtiger hielten die politischen Interessen der USA zu unterstützen, als das Richtige zu tun.

Hubert Seipel: Eine Reaktion auf die NSA-Ausspähungen ist die, dass Länder wie Deutschland sich darüber Gedanken machen, eigene nationale Netze aufzubauen, damit Internetfirmen gezwungen werden Daten im eigenen Land zu behalten.

Edward Snowden: Es wird die NSA nicht daran hindern ihre Arbeit fortzusetzen. Sagen wir es mal so: die NSA geht dahin, wo die Daten sind. Wenn sie es schafft, Nachrichten aus den Telekommunikationsnetzen Chinas zu sammeln, wird es ihr vermutlich auch gelingen an Facebooknachrichten in Deutschland ran zu kommen. Letztendlich besteht die Lösung darin, nicht alles in einen eingemauerten Garten zu stecken. Es ist viel besser Daten auf einer internationalen Ebene zu sichern, als wenn jeder versucht die Daten hin und her zu schieben. Die Verlagerung von Daten ist nicht die Lösung. Die Lösung besteht darin, die Daten zu sichern.

Hubert Seipel: Präsident Obama sind die Botschaften dieser Enthüllungen im Augenblick scheinbar relativ egal. Ihm scheint zusammen mit der NSA sehr viel mehr daran zu liegen, den Überbringer dieser Nachrichten zu fassen. Obama hat den russischen Präsidenten mehrmals um Ihre Auslieferung gebeten — Putin hat abgelehnt. Es sieht so aus, als würden Sie den Rest Ihres Lebens hier in Russland verbringen. Gibt es eine Lösung für dieses Problem?

Edward Snowden: Ich glaube, dass es immer klarer wird, dass diese Offenbarungen keinen Schaden angerichtet haben, sondern vielmehr dem öffentlichen Wohl dienen. Es wird schwierig sein, einen Feldzug gegen jemanden fortzusetzen, von dem in der Öffentlichkeit die Meinung vorherrscht, dass er für das öffentliche Wohl arbeitet.

Hubert Seipel: In der New York Times stand vor kurzem ein Leitartikel, in dem Gnade für Sie gefordert wird. Die Überschrift: „Edward Snowden — Whistleblower“, und ich zitiere: „die Öffentlichkeit wurde darüber aufgeklärt, wie die Agentur die Grenzen ihrer Befugnisse überschreitet und missbraucht.“. und dann heißt es: „Präsident Obama sollte seine Mitarbeiter anweisen der Verleumdung Mr. Snowdens ein Ende zu setzen und ihm einen Anreiz geben, nach Hause zu kommen.“. Haben Sie einen Anruf bekommen?

Edward Snowden: Ich habe bisher noch keinen Anruf aus dem Weißen Haus bekommen und ich sitze auch nicht am Telefon und warte darauf. Trotzdem würde ich es begrüßen, wie wir die Sache auf eine für alle Seiten befriedigende Weise zu Ende bringen können. Ich glaube, dass es Fälle gibt, in denen das, was gesetzlich erlaubt ist, nicht unbedingt auch richtig ist. Es gibt genug Beispiel in der Geschichte in Amerika und auch in Deutschland, in der die Regierung des Landes im Rahmen des Gesetzes handelt, und trotzdem Unrecht tat.

Hubert Seipel: Präsident Obama ist offensichtlich noch nicht ganz überzeugt. Er sagt, dass sie drei Straftaten begangen haben. Er hat gesagt: „wenn Sie, Edward Snowden, zu dem stehen was Sie getan haben, sollten Sie nach Amerika zurück kommen und sich mit Hilfe eines Anwalts vor dem Gericht verantworten.“. Ist das die Lösung?

Edward Snowden: Was er allerdings nicht sagt ist, dass es sich hierbei um Straftaten handelt, bei denen ich nicht vor einem Gericht gehört werden kann. Ich darf mich nicht vor einem öffentlichen Gericht verteidigen oder die Geschworenen davon überzeugen, dass ich in ihrem Interesse gehandelt habe.
Das Spionagegesetz stammt aus dem Jahr 1918. Dessen Ziel war es nie journalistische Quellen, Menschen zu verfolgen, die den Zeitungen Informationen von allgemeinem öffentlichen Interesse zukommen lassen. Es war vielmehr gegen Menschen gerichtet, die Dokumente an ausländische Regierungen verkaufen, die Brücken sprengen, die Kommunikation sabotieren und nicht gegen Menschen, die im öffentlichen Wohl handeln. Es ist bezeichnend, dass der Präsident sagt, dass ich mich vor einem Gericht verantworten soll, auch wenn er weiß, dass so ein Prozess ein Schauprozess wäre.

Hubert Seipel: Edward Snowden, vielen Dank für das Interview.“

Quelle: Sendung vom NDR in das Erste am 26. Januar 2014 um 23:05 Uhr

Disclaimer:Ich habe das Interview aus Spaß an der Freude mitgeschrieben und bin kein Transkriptionsprofi; Tippfehler sind also möglich.

tl;dr

Edward Snowden hat im Interview nichts mitgeteilt, was wir nicht schon wussten. Soviel zum enttäuschenden Teil der Aufzeichnung.

Aber binnen einer halben Stunde alle Enthüllungen des letzten Jahres noch einmal aufgetischt zu bekommen, hat mich schon schockiert. Privatleute können mit X-Keyscore alle meine E-Mails lesen und wissen stets wo ich bin und was ich gerade eingekauft habe. Sie kennen meine Freunde und wissen, wie oft und wann ich mit ihnen kommuniziere und kennen auch die Freunde meiner Freunde — alles auf einen Mausklick. Und die NSA interessiert sich nicht nur dafür, weil ich vielleicht ein Terrorist sein könnte, sondern auch, weil ich vielleicht genau an der richtigen Stelle im Unternehmen arbeite um Informationen abgreifen zu können.

Und wenn ich richtig zwischen den Zeilen gelesen habe, wurden bereits die Bundeskanzler vor Angela Merkel überwacht. Und der Hamburger Bürgermeister sicher auch. Der Bundespräsident sowieso und wahrscheinlich erst recht die Lebenspartner der wichtigen Entscheider unserer Regierungen.

Ob sich durch die erhöhte mediale Präsenz und die erneut aufflammenden Diskussionen jetzt aber wirklich etwas ändert und unsere privaten Daten wieder privat werden — das steht noch in den Sternen und ganz ehrlich: ich glaube nicht dran.

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